Glauser Quintett: „Gotthard“
Ein literarisches Konzert mit Musik von Daniel R. Schneider nach der Novelle von Zora del Buono
Literatur trifft Musik. Musik trifft Literatur. Beides verschmilzt zu einer neuen Erzählform.
In seiner fünften Produktion verabschiedet sich das Glauser Quintett von seinem Namenspatron Friedrich Glauser und präsentiert ein neues literarisches Konzert nach der Novelle „Gotthard“ der Schweizer Autorin Zora del Buono, erschienen 2015 im Verlag C. H. Beck.
„Abgründig und komisch, sinnlich und raffiniert erzählt Zora del Buono in „Gotthard“ von den Arbeitern am Gotthardbasistunnel, von einer buchstäblich heißen Arbeitsatmosphäre und einer Leiche im Keller. Fritz Bergundthal, Eisenbahn-Fan aus Berlin und gepflegter, fünfzigjähriger Junggeselle, ist zum Gotthardtunnel ins Tessin gereist, um ein paar spektakuläre Fotos schöner Lokomotiven zu machen. Aber im Laufe eines einzigen Tages, von dem „Gotthard“ erzählt, wird er immer tiefer verstrickt in die freundschaftlich-familiären und erotischen Verwicklungen der Arbeiter rund um die Baustelle des Gotthardbasistunnels.“ (aus dem Verlagstext)
Daniel R. Schneider hat für „Gotthard“ wiederum eine unverwechselbare musikalische Landschaft komponiert, in der sich ausgewählte Charaktere und Episoden aus Zora del Buonos Novelle entfalten und überkreuzen.
Ensemble:
Markus Keller: Sprache
Daniel R. Schneider: Gitarre, Banjo, Synthesizer
Martin Schumacher: Klarinette, Baritonsaxophon, Akkordeon
Fredi Flükiger: Schlagzeug, Perkussion
Text: Zora del Buono | Komposition, musikalische Leitung: Daniel R. Schneider | Dramaturgie: Paul Steinmann | Textbearbeitung: Markus Keller | Endregie: Daniel Wahl | Produktionsleitung: Martin Schumacher | Fotos: Andrin Winteler | Koproduktion: sogar theater, Glauser Quintett | Aufführungsrechte: Verlag C. H. Beck, München
Premiere am 25. Januar 2018 im sogar theater, Zürich
Weitere Informationen und aktuelle Spieldaten: www.glauser-quintett.ch
Mehr über die Autorin Zora del Buono: www.zoradelbuono.de
Im Tages Anzeiger vom 31.1.2018 erschien folgende Konzertbesprechung:
„Gotthard“: Suff, Puff und ein schlimmes Geheimnis
Zürich, sogar theater – Will jemand noch über den Gotthard reden? Nach der Eröffnung des Eisenbahntunnels mit dem Overkill an Informationen? Nun, wer dieses kleine Stück „Gotthard“ mit Musikensemble nach der Novelle der Schweizer Autorin Zora del Buono hört, lässt alle Bedenken fahren: Der Gotthard, merkt man im sogar theater, ist ein nie versiegendes Thema. Er führt zuverlässig von der Aktualität weg und hin zum Menschlich-Allzumenschlichen.
Bei Zora del Buono wird der Gotthardstollen zu einer nicht plakativen, sondern vielmehr raffinierten Metapher fürs Erotische. In ihrer Erzählung gibt es die lesbische Lastwagenfahrerin und den Mineur, der tief im Berg Geborgenheit verspürt, und es gibt auch Alkoholiker, Prostituierte, beeindruckend autoritäre Kantinenchefinnen. Diese mitunter skurrilen Alltagsexistenzen bevölkern die Gotthard-Baustelle vor 2016 – mit allem Drum und Dran bis hin zu Suff und Puff (erhaben wirkt der Mensch am Fusse des Gotthardmassivs hier kaum je). In „Gotthard“ erschlagen zwei Bauarbeiter schon beim Bau des Strassentunnels in den 70ern, in den sie involviert waren, einen Kollegen: ein Männerstreit um eine Frau, betonieren die Leiche in die Tunnelwand ein. Seither tragen sie das Geheimnis mit sich herum. Die Novelle versteckt diese unerhörte Begebenheit bis zum Schluss. Doch treibt die ganze Erzählung auf das stets zu ahnende Dunkle hin.
Das Wunderbare an dem Abend nun aber ist: Alles wirkt dennoch erstaunlich leicht. Das hängt zusammen mit dem Witz, den der Text versprüht. Vor allem aber mit dem Glauser Quintett – hier als Quartett auftretend: Markus Keller als Sprecher, Daniel R. Schneider als Komponist und Saitenspieler, Martin Schumacher als Holzbläser und Akkordeonist, Fredi Flükiger als Schlagzeuger. Einerseits ist die Textvorlage wir geschaffen für eine Musikalisierung: Lokomotiven dringen mit gleichmässigen Geräuschen in den Gotthardtunnel ein, die Musiker nutzen die Chance zu minimalistisch-motorischen Klangtexturen.
Zudem sind die Figuren in „Gotthard“ charakterlich derart heterogen, dass sie geradezu nach unterschiedlichen illustrativen Klängen schreien. Die drei Musiker schaffen entsprechend vielfarbige, eindeutige Töne zwischen Minimal, Folklore und leise schepperndem Rock. Immer wieder ist ihr Ton dabei zirzensich, luftig. Die Musik, sie hat wesentlichen Anteil an der Leichtigkeit des Abends.
Christoph Merki
Auf thurgaukultur.ch erschien folgende Kritik der Aufführung vom 10.2.2018 im Eisenwerk Frauenfeld:
Im Bann des Tunnel-Molochs
„Alles fliesst“ sagte Heraklit. Danach handelte auch das Glauser Quintett, das von fünf auf vier schrumpfte und statt des poetischen Fremdenlegionärs mit einem Text von Zora del Buono in ihre neue literarisch-musikalische Konzertreihe stieg. Besser gesagt, eindrang. Das dichte, sinnlich-leichtfüssige Wort-Klang-Tunnelgrossbaustelle „Gotthard“ ist ein Hörabenteuer der besonderen Art. Wir sind am vergangenen Freitag im Frauenfelder Eisenwerk mit auf Entdeckungsreise gegangen in den grössten Stollen der Bahnbaugeschichte.
Akkurat wie ein Bauführer setzte Sprecher Markus Keller die Zeiten für die Protagonistinnen und Protagonisten. Um 7.30 Uhr war Trainspotter Bergundthals Auftritt. Er war die etwas brötig-unsinnliche Gegenfigur zu Womanizer Filz, der im Stollen an den Wänden nur noch Schenkel, Brüste, und Allzuweibliches sah. Frauen? Der eine wollte keine. Der andere: Bitte mehr als eine, und die nicht zu nah. Zu dumm nur, dass die heilige Barbara verschwunden war. Gestohlen. Ein böses Omen für Tunnelbauer. Es war deutlich zu spüren, dass die Autorin del Buono auch als Architektin arbeitet. Sätze wie aus Stein gemeisselt, turmhohe Wortkaskaden, die jedoch nie das Gleichgewicht verloren, in den Spannungsfeldern, in denen sie sich bewegten. Sprecher Keller war ihr sensibler, kraftvoller Tongeber, der die weissen Figürchen auf dem schwarzen Grund wie Schachfiguren bewegte. Die Musik war der Berg. Ganz Gneis, mal Granit, mal Sandstein, dann wieder ölig schiefrig. Komponist Daniel R.Schneider verwob die Geschichte zu einer ureigenen „Klangsteinstory“, mal illustrierend, mal wegweisend, jedoch immer achtsam gegenüber dem gesprochenen Wort.
Schwarzhumorige Abgründe
Überhaupt war die Text-Musik-Verdichtung das Eindrücklichste an diesem Abend im Eisenwerk. Minimal Music, Blues und Experimentelles gaben sich die Hand, wenn Martin Schumacher von der Klarinette, zum Akkordeon und dem Baritonsax wechselte, oder Perkussionist Fredi Flükiger durch seine Geräuscheküche klapperte. Da und dort blinzelte auch Tessiner Musik durch die Rauchschwaden des Südportals und erinnerte an eine bluesige Fortsetzungsgeschichte des ORF-Hörspiels „Das Wirtshaus zur Hand des Gehenkten“, von Bernhard Kathan und Manuela Kerer.
Skurril genug dafür ist „Gotthard“ allemal. Die abartigen Temperaturunterschiede, die den Arbeitern zu schaffen machten, die Veränderungen der Landschaft durch den Tunnelbau, die Einsamkeit, das Altern, die Lebensfreude und die Puffs der Leventina: Saftig, deftig, aber niemals billig wand sich die Geschichte durch immer absurdere Verbindungsgänge, von Fräse Gabi 1 zur ehemaligen Kantinenwirtin, ihrem Mann Aldo und der Hure Monika im „Alabama“. Die Parallelgeschichten vernetzten sich zu einer grossartig orchestrierten Story über das Leben und dem Tod vor und im Tunnel. Die heilige Barbara wurde übrigens wieder gefunden. Nur wo, sei nicht verraten. Es lohnt sich allemal, sich mit dem Glauser Quintett in den Stollen zu begeben.
Barbara Camenzind
Zu den aktuellen Spieldaten
Weitere Informationen: www.glauser-quintett.ch
Video-Trailer, Ausschnitte aus der Vorführung vom 28.1.2018 im sogar theater, Zürich: